Gates-Nachfolger Ray Ozzie über das Post-PC-Zeitalter


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    Portrait Ray OzzieDer Rückzug von Ray Ozzie als Microsofts Leiter der Entwicklungsabteilung wirft einige Fragen auf: Die offensichtlichste ist die, was der hauptsächliche Anlass zu diesem Schritt gewesen sein könnte. Wie er den Fortschritt und die Zyklen der IT-Welt und die Stellung von Microsoft in Bezug dazu sieht, ließ Bill Gates’ Nachfolger bereits in einem Memo von 2005 „The Internet Services Disruption“ wissen. Anlässlich seines jetzigen Schrittes veröffentlichte er erneut ein derartiges Memo, diesmal unter dem Betreff „Dawn of a New Day“.

    Cloud-Computing ist die neue Ära

    Die Entwicklung, so Ozzie, stehe jetzt an der Schwelle einer Ära, die durch cloud-basierte, überall und ständig verfügbare Dienste auf der einen Seite und durch Appliance-artige, ständig damit verbundene Geräte gekennzeichnet sei. Dieses Paradigma sei so fundamental wie Microsofts – er erinnert dabei an das 25jährige Jubiläum des Windows-1.0-Starts am 20. November – Vision von „einem PC auf jedem Schreibtisch und in jedem Haushalt, auf dem Microsoft-Software läuft“.

    Nun ist es so, dass man obige Zwischenüberschrift in beliebigen Varianten auf fast jedem Stand auf nahezu jeder beliebigen IT-Messe sehen kann. Natürlich sagt kein Hersteller: „Wir machen das weniger“, auch nicht Microsoft, und im Prinzip stehen die Redmonder auch gar nicht schlecht da. Ozzie reicht das jedoch nicht: Durch die Blume bescheinigt er Microsoft, immer noch eine Geräte-orientierter Produktpolitik zu betreiben und damit die Möglichkeit zu verpassen, beim Übergang zum Cloud-Computing die Führung zu übernehmen. Er betont explizit, wie sehr Windows und Office in der Vergangenheit den PC nicht nur geprägt, sondern definiert habe, was der Konsument unter einem solchen Gerät und seinen Fähigkeiten versteht, und vermisst diese Definitionshoheit heute.

    Produktivitätskiller Komplexität

    Ozzie fordert eine radikale Vereinfachung der Hard- und Software-Landschaft und stellt fest, dass das PC-Client-Server-Modell durch sein Design zu allzu großer Komplexität neige. Daraus entstünden unter anderem Sicherheitsprobleme, eine verzögerte Produktentwicklung, Frustration bei Administratoren und Anwendern. Im Cloud-Computing sieht er die Möglichkeit der Komplexitätsreduktion, weswegen sie vom Konsumenten zweifellos angenommen werden wird.

    Early Adopter würden bereits jetzt ihre Art der Datenverarbeitung nicht mehr mit Hard- oder Software-Installationen, Desktops, Ordnern und Dateien assoziieren. Das bedeute nicht, dass von heute auf morgen der PC verschwinden und von Mobiltelefonen und/oder Pad-ähnlichen Geräten verdrängt würde. Er werde aber allmählich anders wahrgenommen, als ein Gerät, das man nur noch einschalte und allerhöchstens minimal konfiguriere, um sich verbinden zu können.

    Alles Weitere spiele sich nicht mehr lokal ab. Für IT-Anbieter der Zukunft sei es weniger wichtig, was sie für Endgeräte anböten und mit welchem Betriebssystem oder Anwendungen dies ausgestattet sei – diese seien verlustlos austauschbar. Entscheidend sei vielmehr, die cloud-basierten Dienste möglichst zu jeder Zeit und an jedem Ort 24×7 an die Geräte ausliefern zu können – die Fähigkeit zu jederzeitigem „sync and stream“ werde also bestimmen, wer welche Stellung im Markt einnehme.

    Das Post-PC-Zeitalter

    In diesem Sinne soll das Post-PC-Zeitalter also nicht die Abschaffung der PCs im Sinne des „personal computers“ bedeuten. Dies ist der vielleicht entscheidende Unterschied zu den vergangenen Versuchen, ihn überflüssig zu machen, man denke etwa an „the network is the computer“. Vielmehr werden viele neue Geräte hinzukommen, die Daten mit der Cloud austauschen, etwa fernwartbare Aufzüge oder Stau-Sensoren auf Autobahnen.

    Der „PC“ der Zukunft wird eher ein „P“ im Sinne eines persönlichen Wolkenstückchens sein als sich auf ein konkretes Gerät beziehen – ob man dies auf einen PC im heutigen Sinne streamt oder doch lieber auf ein intelligentes Telefon, bestimmen die Konsumenten von Fall zu Fall je nach Einsatzzweck selbst.

    Der Übergang vollzieht sich allmählich und zuweilen auch für den Benutzer unmerklich: So wissen viele Anwender schon heutzutage nicht mehr, wann sie ihr CD/DVD-Laufwerk zum letzten Mal benutzt haben, und Notebook-Besitzer müssen zuweilen einen extra Blick auf das Gehäuse werfen, um festzustellen, ob ihr neues Exemplar überhaupt eines besitzt. Umfragen im Bekanntenkreis sorgen da gerne für verblüffte Gesichter. Dem damit verbundenen Bedeutungsverlust von Betriebssystem und klassischen Anwendungen muss sich Microsoft aber definitiv stellen, will es den Consumer-Markt nicht verlieren.

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    Bild von Andreas Kroschel

    Andreas Kroschel ist Buchautor und Verfasser von Fachartikeln zu Hardware, Windows und Linux sowie IT-Sicherheit. Er arbeitete als Redakteur unter anderem für BYTE Deutschland und die PC-Welt.

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